Sind Dialekte auch Sprachen?
Dialekte erregen die Gemüter. Sind sie schlechtere Sprachen, oder sind sie im Gegensatz zur künstlichen Sprache nach der Schrift die normalen Sprachen?
Eine sinnvolle Antwort auf diese Frage hängt davon ab, was wir genau meinen, wenn wir Dialekt sagen. Denn wie auch das Wort Sprache ganz allgemein vermischen wir damit im Alltag mehrere unterschiedliche Dinge.
Was genau ist Sprache eigentlich?
- Sprache als kognitives System
- Sprache als gesellschaftliches Gut
- Sprache als Fenster zur Psycholgie
Es gibt also mindestens drei Bedeutungen von Sprache. Erstens ist Sprache ein Objekt im Hirn eine*r Sprecher*in. Es ist ein diskret unendliches System, denn es kann mit endlichen Mitteln (Wortschatz und Regeln, beide endlich) unendlich viele grammatische Sätze erzeugen. Viele Linguist*en teilen die Intuition, dass wir permanent Sätze sagen, die so noch nie von einem Menschen gesagt worden sind. Spätetens in Anbetracht von Sprachwandel (und veränderungen im Wortschatz) überzeugt diese Einschätzung.
Der zweite Betrachtungswinkel auf das Alltagswort Sprache lässt darin ein System außerhalb des Hirns eine*r Sprecher*in, in der äußeren Welt, erkennen. Verschiedene Sprachen erfüllen in verschiedenen Gesellschaften verschiedene Rollen. Diese “externe” Sprache hat sehr wenig mit der “internen” Sprache aus dem vorigen Absatz zu tun, wenn es um die Erforschung geht. Hier spielen soziologische und politische Fragen mit hinein, während es oben um die biologischen und kognitiven Fragen ging.
Schließlich ist der Sprachgebrauch auf Einzelne bezogen von Interesse. Wie sage ich etwas, wann und warum? Dieser Aspekt, der oft auch mit dem Alltagsbegriff Sprache gemeint sein kann, hängt mit dem gesellschaflichen Verständnis im vorigen Absatz zusammen. Hier spielen allerdings individuelle Fragen die größere Rolle.
Was genau ist dann ein Dialekt? Bezogen auf Punkt 1 (Sprache als kognitives System) gibt es keinen Unterschied zwischen Dialekt und Sprache. Was allerdings oft mitschwingt ist die Tatsache, dass viele Sprecher*innen andere Kompetenzgrade in einem gewissen Dialekt haben, als sie es beispielsweise in der Standardsprache tun (oder genau umgekehrt), was für Sprachen aber eben auch der Fall sein kann. Ansonsten macht es keinen Unterschied, ob Dialekt oder Sprache, Linguist*en sprechen oft einfach von einer sogenannten Varietät.
Bezogen auf Punkt zwei, Sprache als gesellaftliches Objekt, spielen soziologische Faktoren ein. Dasselbe gilt für psychologische Faktoren in Punkt drei. Hier gibt es viel zu erfahren, der Fokus dieser Website liegt aber auf Punkt eins.
Fazit: Ein Dialekt ist wie eine Sprache, nur dass er in der Gesellschaft anders eingeordnet wird.
Übrigens ist der Verlauf fließend und nicht fix: Oft findet man zwei offizielle Sprachen zweier Länder, die einander ähnlicher sind, als so manche Dialekte, die zu einer einzigen Sprache gezählt werden. Das kommt daher, dass solche Einteilungen oft historisch-politisch bedingt sind.